Wie entsteht eine "erneuerte" Tracht?
1. Historische Vorbilder
Der erste Schritt bei der Entwicklung einer erneuerten regionaltypischen Tracht ist die Suche nach historischen Quellen. Dies sind vor allem originale Kleidungsstücke, aber auch schriftliche Informationen oder Bildzeugnisse aus der Vergangenheit wie Porträts und frühe Fotografien. Diese Quellen aus der Vergangenheit werden wissenschaftlich untersucht und auf ihre Aussagekraft hin überprüft.
2. Regionaltypische Merkmale
Ziel der Beschäftigung mit den Zeugnissen aus der Vergangenheit ist es, die charakteristischen und regionaltypischen Merkmale zu erkennen und zu untersuchen, z.B. Farben, Dessins, Materialien, Schnitte, Auszier. Hier arbeitet die Trachtenberaterin bereits eng mit der Trachtenschneiderin zusammen, wenn es um die Besonderheiten des Schnitts und der Verarbeitung geht.
3. Modellentwicklung
Die Trachtenschneiderin fertigt Modellzeichnungen an und bespricht das Erscheinungsbild der künftigen Tracht in jedem neuen Stadium mit der Trachtenberaterin.
Anschließend erarbeitet die Schneidermeisterin einen neuen Schnitt, der den heutigen Körperproportionen und der modischen Silhouette entspricht. Da die moderne Schnitttechnik den meist sehr einfachen Schnitten der historischen Trachtenstücke weit überlegen ist, ist die Passform der erneuerten Trachten viel besser als die ihrer Vorbilder. Der Schnitt wird zunächst auf einen preiswerten Stoff übertragen und dann an einer Figurine oder bereits an einer Person überprüft und korrigiert, bevor der Zuschnitt am gewünschten Material, z.B. Seide, erfolgt.
4. Abstimmung mit den Wünschen der Auftraggeber
In einem Gespräch zwischen Kunden/in und Trachtenschneider/in werden die individuellen Wünsche hinsichtlich der Farben, Muster und Verarbeitungstechniken abgestimmt. Bei Gruppen wird einem gemeinsamen Farbkonzept besondere Aufmerksamkeit beigemessen. Die früher gewünschte Uniformität im Erscheinungsbild ist inzwischen nicht mehr gefragt.
Da vor allem Musikkapellen, Tanzgruppen und Landjugendgruppen eine hohe Fluktuation aufweisen, wird die Tracht von mindestens zwei Generationen getragen und muss deshalb nicht nur einem hohen Qualitätsstandard genügen, sondern auch änderungsfreundlich sein.
Weiterhin wird darauf geachtet, welche besonderen Anforderungen an die Tracht gestellt werden: Eine private Festtagstracht aus Seidenstoffen eignet sich nicht für eine Blaskapelle oder eine Tanzgruppe. Hier müssen die Trachten Bewegungsfreiraum lassen und aus strapazierbaren Materialien bestehen.
5. Kompromisse zwischen Tradition und Mode
Durch Verzicht auf Hüftpolster und Unterröcke, durch schmalere Schürzen und durch Veränderung der Rockfalten zeigen die neuen Trachten eine schlanke Silhouette und entsprechen damit unserem heutigen Schönheitsideal. Bei einer erneuerten Tracht muss keine Frau befürchten, fülliger zu wirken, im Gegenteil: Die Schnitte der erneuerten Trachten schaffen klare Konturen und betonen dezent die weiblichen Formen und vor allem die Taille.
Da viele Frauen einen tiefen Ausschnitt bevorzugen, wurde für die erneuerte Tracht nicht das hochgeschlossene Frauenhemd vom Ende des 19. Jahrhunderts gewählt, sondern die dekolletierte Form, die vorher üblich war. Es ist auch möglich, die erneuerte Tracht mit einer klassischen Bluse oder einem schlichten T-Shirt zu kombinieren.
6. Materialien und Ausführung
Frühere Festtagstrachten bestanden aus edlen Materialien wie Tuch, Seide oder Samt, die nicht gewaschen werden konnten. Seide war zudem sehr empfindlich.
Bei der erneuerten Tracht berücksichtigt man ihren Verwendungszweck. Sommerliche Modelle können aus leichter, bedruckter Baumwolle oder Leinen bestehen, während man für eine festliche Tracht Seide oder synthetische Fasern mit Seidenoptik wählen kann.
Zahlreiche Varianten gibt es auch in der Verarbeitungsweise. Die Möglichkeiten reichen von den klaren, schlichten Formen ohne Auszier bis hin zum handgestiftelten Rock mit Zierborten und einer Bluse mit Weiß- und Monogrammstickerei.
7. Suche nach den gewünschten Stoffen und Accessoires
Für die neuen oberfränkischen Trachten können neben den typischen, in Südbayern und Österreich angebotenen Trachtenstoffen auch klassische Blumen- und Streifendessins oder einfarbige Gewebe verwendet werden. Neben den Fachgeschäften bieten vor allem die Trachtenmärkte große Auswahl und gute Beratung. Über Kontakte zu den Anbietern verfügen auch die Trachtenschneider/innen.
8. Maßnehmen und Anproben
Für maßgeschneiderte Trachten sind in der Regel zwei Anproben erforderlich. Das Ergebnis ist eine perfekt sitzende und bei Bedarf leicht abzuändernde und auf die individuellen Wünschen abgestimmte Tracht.